Sind Gegensprechanlagen in Mehrparteienhäusern mehr als nur ein Psycho-Trick?

»Hallo, wer ist da?« – diese Frage soll unerwünschte Gäste fernhalten. Dazu muss man sie aber erstens auch stellen und zweitens in der Lage sein, auch »Nein« zu sagen.

Der Autor am Hörer einer Gegensprechanlage.
»Wer ist da? … Kettensägenmörder? … Ja bitte, kommen Sie herein!«

Als Gymnasiast war ich einmal auf einer Exkursion, zu der wir, anders als üblich, nicht gemeinsam von der Schule aus hinfuhren; stattdessen trafen wir uns direkt an unserem Ziel. Sehr zum Leidwesen meines legendär schlechten Orientierungssinns befand sich an dieser Adresse ein weitläufiges Gebäude, an dem ich erst einmal den richtigen Eingang finden musste.

Als ich schon ein Mal vergeblich um das Haus herum gegangen war, kamen mir ein paar Schulkollegen entgegen, die – gleichermaßen erleichternd wie ernüchternd – genauso verloren waren wie ich. Nach einem kurzen Austausch über unsere Orientierungslosigkeit stapfte ein selbstbewusster Kollege einfach zur nächstbesten, unscheinbaren Metalltür und klingelte an.

»Ja?«, tönte es aus dem Lautsprecher. »Lasst uns rein!«, schnauzte mein Kamerad ins Mikrofon. Die Antwort war ein unterwürfiges »Okay« und schon waren wir drinnen.

Soweit ich mich erinnern kann, wollten wir eigentlich zu einer Ausstellung. Stattdessen fanden wir uns nun aber im Backstage-Bereich einer Theater-Bühne wieder.

Was ich daraus gelernt habe: Wenn man nur unverschämt genug ist, kommt man fast überall hin. Aber was bedeutet das für Gegensprechanlagen? Können diese ihren angedachten Zweck erfüllen oder sind sie bestenfalls eine psychologische Hürde?

Berufsverkehr zwischen Tür und Angel

Als ich kein Gymnasiast mehr war, sondern Büroangestellter, lernte ich die andere Seite der Medaille kennen. Uns musste man gar nicht erst anschnauzen; wir hatten in der Regel einfach geöffnet, ohne erst nachzufragen, wer da überhaupt ist. Theoretisch hätten wir also nicht nur ruppige Schüler, sondern auch entlaufene Gorillas ins Haus gelassen.

Ja, das ist unvorsichtig, aber auch nachvollziehbar, wenn man Aufwand und Nutzen gegenüberstellt. Mit einem kleinen Rechenbeispiel veranschaulicht: Selbst wenn es am Tag nur zehn mal klingelt, summiert sich das in einem Monat mit 20 Arbeitstagen auf rund 200 und in einem Jahr auf 2.400 Anfragen. Wenn ein einziges Mal im Jahr eine unerwünschte Person läutet, müsste man sich erst 2.399-mal umsonst den Aufwand des Nachfragens machen, bevor es sich zum ersten Mal auszahlt.

Und dieses Sich-auszahlen kann man auch noch infrage stellen. Schließlich ist so ein Eindringling ja typischerweise kein Kettensägenmörder und auch kein entlaufender Gorilla, sondern viel eher ein Klinkenputzer, den man auch noch im Haus abwimmeln kann.

Wo regelmäßig viele Leute ein- und ausgehen, braucht es auch nicht unbedingt eine Gegensprechanlage, um sich unbefugten Zutritt zu verschaffen. Mir haben schon oft an allen erdenklich Orten wildfremde Leute die Tür aufgehalten, ohne zu hinterfragen, wer ich eigentlich bin.

Menschenleere Wege in einer blühenden Parkanlage.
Besuch in den Blumengärten Hirschstätten: Die auf einer Website angegebenen Öffnungszeiten waren falsch und beim Eingang kam mir gerade jemand entgegen; Ergebnis: Ich war illegaler Besucher in einem geschlossenen Park, ohne mir dessen bewusst zu sein. (Nur die Menschenleere war ein wenig irritierend.)

Eine Frage der Anzahl

Die Größe des Problems korreliert offensichtlich mit der Anzahl der Mitarbeiter beziehungsweise Parteien in einem Haus. Eine Hinterhofbude mit drei Leuten sollte bei intaktem Verstand problemlos in der Lage sein, den Zugang streng zu kontrollieren, aber je mehr Parteien es in einem Haus gibt, desto höher wird die Wahrscheinlichkeit, dass irgendjemand bereitwillig die Pforte öffnet.

Die größte Gefahr, nicht hineingelassen zu werden, geht dann mitunter von den Anläutenden selbst aus. Obwohl wir in meiner Büro-Ära meistens sehr voreilige Türöffner waren, gab es auch anlassbedingte Phasen, in denen wir doch ein wenig Vorsicht walten ließen – etwa, wenn es läutete und dann trotz Öffnen niemand zu uns in den zweiten Stock kam. In so einer Vorsichtsphase ging ich einmal mit einem kurzen »Ja« an den Hörer, worauf die Gegenseite sagte: »Hallo, wer ist da?« Noch deutlicher kann man kaum sagen, dass man einfach nur alle Knöpfe an der Gegensprechanlage durchprobiert.

Eine Frage der Zeit

Eine Branche, bei der meiner Erfahrung nach auch praktisch immer Tag der offenen Tür herrscht, sind Ärzte. Die dürften dank ihres andauernden Patientenverkehrs besonders wenig Geduld in Sachen Zutrittssicherheit haben, sondern öffnen direkt nach jedem Läuten.

Im Gegensatz zu meinen bisherigen Arbeitgebern befinden sich Wiener Arztpraxen aber üblicherweise in Wohnhäusern. Ich frage mich deshalb, wie sich wohl die Nachbarn fühlen, wenn sie wissen, dass ausnahmslos jeder ins Haus kann, indem er einfach beim Doktor klingelt. Ein kleines Trostpflaster sind wahrscheinlich die eingeschränkten Ordinationszeiten. Dadurch ist das Hereinspazieren zumindest nachts nicht ganz so einfach.

Auch sonst kann man diese zeitliche Komponente als Stärke von Gegensprechanlagen betrachten. Egal, wie leichtsinnig man sonst damit umgehen mag: Zumindest dann, wenn niemand im Haus ist oder alles schläft, kann auch niemand hereingelassen werden … in letzterem Fall vorausgesetzt, dass der Möchtegern-Eindringling nicht penetrant genug ist, um jemanden aufzuwecken und zum Aufstehen zu bewegen.

Das ist dann wiederum ein Nachteil von solchen Geräten im Privatbereich: Sie erleichtern sadistische Klingelstreiche. Bei mir im Haus gab es erst vor wenigen Monaten jemanden, der mehrmals zwischen 22:00 und 03:00 Uhr nachts bei allen Leuten im Haus geläutet hatte. Zum Glück hatte ich selbst einerseits bereits einen nachtschwärmerischen Tagesrhythmus und andererseits eine Gebrauchsanleitung, mit deren Hilfe ich meine Klingel nachts ausschalten konnte.

Gegensprechanlage mit zwei Tasten, daneben eine Bedienungsanleitung mit Tastenkombinationen für Tonruf-Auswahl, Rufabschaltung und Lautstärkeregelung.
Statt eines intuitiven Bedienkonzeptes gibt es nur zwei kryptisch bebilderte Tasten. Ohne Anleitung würde man die meisten Funktionen, etwa das Stummschalten, bestenfalls per Zufall finden.

Aber weil das Ein- und Ausschalten nur manuell funktioniert, musste ich zweimal täglich daran denken, weshalb ich es nach wenigen Tagen dann doch wieder sein ließ. Umgekehrt wäre eine automatische Nachtabschaltung aber ebenso wenig das Gelbe vom Ei, weil man dann in den wenigen Fällen, wo man sie doch bräuchte, vergisst, sie wieder einzuschalten. Dann lässt man seine Gäste zur Silvesterparty bei Eisregen vor der Tür stehen.

Erdgeschoß ungleich Portier

Wenn es keine Gegensprachanlage gibt, heißt das nicht zwangsläufig, dass niemand versucht, mit den Bewohnern in Kontakt zu treten. Der Klassiker sind wahrscheinlich Leute, die unter einem offenen Fenster oder Balkon stehen und einen Namen rufen – zum Ärger der Nachbarn aber nur selten so subtil und romantisch wie bei Shakespeare.

Besonders unromantisch wird so ein Romeo-und-Julia-Setting bei uns im Haus dann, wenn ich als Erdgeschoßbewohner gerade in der Unterhose vor dem bodentiefen Fenster stehe, über dem sich die Balkone meiner Nachbarn befinden.

Blick durch französischen Balkon (ein bodentiefes Fenster mit Geländer) im Erdgeschoß hinaus auf die Straße vor dem Haus.
Der französische Balkon direkt neben meinem Bett. Gelegentlich steht jemand auf dem Gehsteig und schaut genau in meine Richtung, um mit den Nachbarn über mir zu plaudern.

Bevor bei uns eine Sprechanlage eingebaut wurde, brachte mir das Wohnen im Erdgeschoß auch noch einen anderen Nachteil: Besucher oder Nachbarn, die ihren Haustürschlüssel vergessen hatten, klopften manchmal bei mir ans Fenster. Das war jedes Mal ein Abenteuer für mein Herz, wenn ich als notorisch schreckhafter Einzelgänger abends im Stillen daheim saß und plötzlich einen Meter neben mir das Fenster schepperte.

Die Gegensprechanlage war in dieser Hinsicht ein Segen für mich. Insbesondere seitdem ich die Lautstärke reduziert habe, schrecken mich unangemeldete Besucher jetzt nur noch ein bisschen.

Im Gegenzug muss ich aber davon ausgehen, dass es Fremden jetzt wesentlich leichter fällt, ins Haus zu kommen. Wer draußen steht, kann nun alle Parteien gleichermaßen malträtieren statt nur die Erdgeschoßler, und wir Mieter müssen nur auf ein Knöpfchen an der Wohnungstür drücken statt im Bademantel zur Haustür zu watscheln.

Für 10 Euro stehen (fast) alle Türen offen

Was zumindest bei mir in Wien auch noch erwähnt werden sollte: Viele Gegensprechanlagen in Mehrparteienhäusern lassen sich mit einem einheitlichen Schlüssel umgehen, den man ohne Umstände für rund zehn Euro bekommt. Dieser Post- oder Z-Schlüssel war ursprünglich, wie der Name schon sagt, für die Post und andere Dienstleister gedacht, kann mittlerweile aber ganz legal von jedem erworben werden. Die Benutzung ist juristisch natürlich ein anderes Kapitel, aber das wird Eindringlinge vermutlich genauso wenig interessieren wie ein Schild, auf dem »Bitte nicht eindringen« steht.

Mehr Einseitigkeit für mehr Sicherheit

Zusammenfassend würde ich sagen, dass Gegensprechanlagen mehr Bequemlichkeit statt Sicherheit bringen. Sobald man den Hörer abgenommen hat, stehen die Chancen gut, dass man die Person auch hereinlässt. Zum einen braucht es nämlich eine gewisse Charakterstärke, um »Nein« zu sagen, und zum anderen wirkt das andere Ende der Telefonleitung so fern, dass man sich nur wenig verantwortlich für das fühlt, was dort passiert. Bei der eigenen Wohnungs- oder Bürotür würde man kaum jemanden so leichtfertig hereinlassen, wie es bei Haustüren gang und gäbe ist.

Eine deutliche Verbesserung könnte es deshalb sein, wenn Sprechanlagen auch eine Videokamera an der Haustür hätten, deren Bild man bereits sieht, bevor man abhebt. Wenn man niemand Fremden erwartet, muss man dann gar nicht erst abheben und kann sich daher auch nicht einlullen lassen.

Gegensprechanlage mit einem Videobildschirm, auf dem ein Mann mit Kapuze und Klappmesser zu sehen ist.
»Sie schauen vertrauenswürdig aus, bitte hereinspaziert!« (Montage, Bildquellen: Adobe Stock 467237204 von Angelov und 194792361 von diy13)

Voraussetzung dafür ist natürlich, dass niemand aus Bequemlichkeit die Haustür offen stehen lässt oder ihr einen Keil unterlegt – eine Low-Tech-Praxis, die ich leider auch schon allzu oft gesehen habe und gegen die wohl kein High-Tech-Kraut gewachsen ist.

Kommentare

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Michael Treml, 2023-02-14 22:44:

Tatsächlich. Wenn ich auf deutsches Deutsch umstelle, wird mir im Gegenzug aber sehr wohl die Marille, genauso wie das Erdgeschoß, angestrichen.

Ich habe in meinem Wörterbuch aus den 90ern nachgeschaut. Dort ist die Aprikose zwar auch gelistet, aber zumindest mit dem Vermerk, dass das Wort nicht heimisch oder erst seit kurzem gebräuchlich ist. Frikadelle, Bulette und Schorle sind dort aber nicht gelistet und werden mir trotzdem auch nicht angestrichen.

Ich hätte nicht gedacht, dass die Rechtschreibkontrolle da so einseitig ist.

Bisherige Kommentare

  • Anonym

    "Nur die Menschenleere war ein wenig irritierend": Ein Fotograf hätte seine helle Freude daran. Es heißt nicht umsonst, dass Geduld zu dessen wichtigsten Fähigkeiten zählt...

    "dass niemand aus Bequemlichkeit die Haustür offen stehen lässt oder ihr einen Keil unterlegt" Das ist keine "Bequemlichkeit" sondern pure Faulheit. Wie oft wird eine Türe mit derartigen Hilfsmitteln offengehalten, nur damit man keinen Code eingeben oder ein Zugangsmedium zücken muss!
    Dagegen hilft nur eines: Zivilcourage und ein freches Mundwerk. Bürogebäude, Hintereingang, Raucherplatz. Es waren vier junge Leute, rauchend und auf unheimlich cool machend, die glaubten, dass sie genauso handeln könnten wie beschrieben. Als sie das Gebäude betraten und die Türe nicht nur verkeilt, sondern weit geöffnet war, wies ich sie darauf hin und meinte, wann sie wohl gedenken würden die Türe zu schließen. Das hätten die anderen vor ihnen gemacht, war die Antwort. Doch ich ließ nicht locker und fragte sie, wozu sie denn eine Zugangskarte hätten, wenn die Türe dann sowieso offen bliebe. Die Typen waren derart vor den Kopf gestoßen, dass sie "schmähstad" wieder zurück marschierten und die Türe ordnungsgemäß schlossen. So schnell wie sie sich dann zum Lift bewegten, um dann mit einer um gut 10 cm reduzierten Körpergröße einzusteigen, habe ich sie nie wieder gesehen.

    Übrigens: "Erdgeschoss" ist in Österreich noch immer ein "Erdgeschoß", schießen tun nur unsere bundesdeutschen Nachbarn. Von den Schweizern einmal abgesehen, bei denen bekommt man statt einer zu bezahlenden Strafe mit Geld gefüllte Beförderungsmittel.

    • Michael Treml (Seitenbetreiber)

      Antwort an Anonym:

      Vielen Dank für den Hinweis bzgl. Erdgeschoß! Interessanterweise wurde mir das nirgends angekreidet, obwohl meine Rechtschreibprüfung überall auf österreichischem Deutsch steht.

      • Anonym

        Antwort an Michael Treml:

        Ihre Rechtschreibprüfung wird auch nicht anspringen, wenn Sie Aprikose schreiben...

        • Michael Treml (Seitenbetreiber)

          Antwort an Anonym:

          Tatsächlich. Wenn ich auf deutsches Deutsch umstelle, wird mir im Gegenzug aber sehr wohl die Marille, genauso wie das Erdgeschoß, angestrichen.

          Ich habe in meinem Wörterbuch aus den 90ern nachgeschaut. Dort ist die Aprikose zwar auch gelistet, aber zumindest mit dem Vermerk, dass das Wort nicht heimisch oder erst seit kurzem gebräuchlich ist. Frikadelle, Bulette und Schorle sind dort aber nicht gelistet und werden mir trotzdem auch nicht angestrichen.

          Ich hätte nicht gedacht, dass die Rechtschreibkontrolle da so einseitig ist.

  • Tony T

    Tolle Montage :D