Produktverpackungen im Stil »Katze im Sack«

Was soll auf einer Verpackung angeschrieben sein? Die Bezeichnung des enthaltenen Produktes etwa? Mancher Designer dürfte da anderer Meinung sein.

Fotomontage einer Katze im Sack. Weitere Säcke sind im Bild.
So manche Verpackung im Supermarkt ist kaum aussagekräftiger als diese unbeschrifteten Beutel. (Montage, Säcke: Korea.net, CC BY-SA 2.0; Katze: Alvegaspar, CC BY-SA 3.0)

Unlängst wollte ich im Supermarkt Taschentücher nachkaufen … und wäre fast an dieser Herkulesaufgabe gescheitert, weil ich die Dinger erst nicht finden konnte. Sie waren zwar da, wo sie schon immer waren, aber sie hatten eine neu gestaltete Verpackung und sahen deshalb nicht mehr nach dem aus, was ich kannte.

Jetzt könnte man sagen, dass ich einfach nur ein Holzkopf bin, der sich mit Veränderungen schwer tut – aber das ist nur die halbe Miete. Als ich nämlich endlich die Packung in der Hand hatte und dann trotzdem noch darüber rätseln musste, ob sich darin nun Taschentücher befinden oder doch etwas Anderes, wurde mir eines klar: Dieses Verpackungsdesign erfüllt seinen Zweck nicht.

Produktbezeichnung nur im Kleingeschriebenen

Das Problem an besagter Packung besteht darin, dass zwar allerhand darauf angeschrieben und abgebildet ist, aber nicht das Wesentlichste. »Kokett« steht riesengroß auf der Packung, darunter »Premium« in Großschrift und rechts oben auch noch »Hier öffnen« und »easy open«. Das wären ja schon mehr Wörter als in so manchem Twitter-Posting, aber ausgerechnet das Wort »Taschentücher« sucht man hier vergeblich.

Rechteckige Packung mit Abbildung von Origami-Schmetterlingen.
Eine rätselhaft beschriftete Packung weißer Schmetterlinge.

Die Bebilderung ist auch nur beschränkt hilfreich. Statt Taschentüchern, wie man sie kennt und nutzt, sind Origami-Schmetterlinge abgebildet. Eine zusätzliche Skizze, die über die enthaltene Stückzahl und die Anzahl der Papierlagen aufklärt, erinnert mehr an Servietten als an Taschentücher.

Origami-Schmetterling aus einem Taschentuch.
Ich wollte zeigen, dass die Taschentücher viel zu dünn sind, um daraus überhaupt einen schönen Schmetterling falten zu können. Wie man sieht, bin ich gescheitert. Die Abbildung auf der Verpackung ist also zumindest nicht komplett realitätsfern. Ab jetzt werde ich mich nur noch in Origami-Schmetterlinge schnäuzen. (Faltanleitung aus einem Video von Kiwetta)

Zugegeben stimmt es nicht ganz, dass das Wort »Taschentücher« nirgends auf der Verpackung aufscheint. Es steht ganz unscheinbar im Kleingedruckten, das man erst mal auf einer der anderen Seitenflächen finden muss. Es stellt sich die Frage, ob das nicht nur deshalb dort steht, weil das eine gesetzliche Vorgabe ist. Dem Designer dürfte diese Information jedenfalls nicht sehr wichtig erschienen sein.

Kleingedrucktes: »Taschentücher, 100% Zellstoff, chlorfrei gebleicht« und zusätzliche Details in fünf verschiedenen Sprachen. In Großschrift und generell größeren Buchstaben auch angeschrieben: »Warnung! Verpackung von Kindern fernhalten. Erstickungsgefahr.«
Selbst die Erstickungsgefahr, von der wahrscheinlich kaum jemand jemals gehört hat, bekommt im Kleingedruckten mehr Aufmerksamkeit als die Information, was man da eigentlich kauft.

Marke als Religion

Dass der Markenname auf Verpackungen meistens im Mittelpunkt steht, kann ich grundsätzlich nachvollziehen, schließlich will man sich im Verkaufsregal ja vom Mitbewerb abheben. Wenn man im Supermarkt einen ganzen Gang mit Taschentüchern vor sich hat und auf jeder Verpackung nur groß »Taschentücher« steht, ist das schließlich auch nicht hilfreich.

Nur ist das Setting im konkreten Fall ein komplett anderes. Ich gehe beim Discounter Hofer, dem österreichischen Ableger von Aldi Süd, einkaufen. Wenn man dort Taschentücher kaufen will, gibt es genau diese eine Marke zur »Auswahl« – sonst nichts. Und diese Marke ist obendrein eine Eigenmarke von Aldi Süd. Dort, wo es mehr Auswahl gibt, würde ich sie also ohnehin nicht bekommen.

Großer Karton mit der Aufschrift »kokett«, rechts daneben kleinere Kartons mit der selben Aufschrift.
Hinter dieser Wand aus Karton waren die Taschentücher versteckt. Rechts davon gibt es andere Taschentücher derselben Marke.

Zu guter Letzt sollte man sich als Hersteller auch die Frage stellen, ob der eigene Markenname so bekannt ist, dass man die eigentliche Produktbezeichnung komplett weglassen kann. Bei Tempo könnte ich das zumindest noch nachvollziehen, aber wer kennt Kokett? Noch dazu sind auch die Servietten, Küchen- und Klopapierrollen, die man bei Hofer bekommt, von Kokett, wodurch der Name allein nicht viel mehr aussagt, als dass man irgendetwas aus Papier vor sich hat.

Emotion vor Information

Was sicher viele Designer antreibt, ist der Wille, positive Emotionen zu vermitteln. Ein Schmetterling ist zart und sanft, und das sind Eigenschaften, die man sicher auch gerne von einem Taschentuch hätte, mit dem man sich die entzündete Nase reibt.

Nur funktionieren solche Metaphern mal besser und mal schlechter. Das Origami-Thema zieht sich durch mehrere Kokett-Produkte und umfasst auch Taschentücher mit Papier-Windrädern und Toilettenpapier mit Papier-Schiffen. In diesen Fällen soll man wohl eher an die Frische von Wind und Wasser denken statt an die harten Stahlkanten eines Schiffsrumpfes.

Das Wort »Premium« ist auch nur dazu da, um besonders hohe Qualität vorzugaukeln. Dass es genau null Information vermittelt, wird deutlich, wenn man sich die ganze Produktpalette ansieht. Die einzigen anderen Taschentücher in Zehnerpackungen sind mit Düften balsamiert und deshalb auch wesentlich teurer. »Premium« steht hier also für die Billigvariante.

Auch beim Toilettenpapier gibt es die Bezeichnung »Premium« – und als Alternativen dazu auch »Comfort« und »Pure«. »Comfort« ist dabei das billigste Produkt, »Pure« das Teuerste. Das einzige, wodurch »Premium« hervorsticht, ist seine gelbe Farbe – eine wahre Premium-Eigenschaft!

Fotomontage des Autors mit gelber Haut und einem T-Shirt mit der Aufschrift »PREMIUM«.
Legomännchen und die Simpsons haben es vorgemacht: So wird man zum Premium-Produkt.

Die Küchenrollen sind besonders selbstbewusst und tragen den Titel »Excellent«. Als Hofer-Kunde man kann nur hoffen, dass diese Selbstbeweihräucherung berechtigt ist, denn ein Alternativprodukt gibt es nicht.

Sie verlassen sich auf den Kontext

Dass Produkte überhaupt gefunden werden, obwohl sie ein Rätsel daraus machen, was sie sind, ist zu einem guten Teil sicher dem Umfeld zu verdanken, in dem sie sich befinden. Die Taschentücher habe ich nur entdeckt, weil sie zwischen anderen Hygieneartikeln versteckt waren. Zwischen Salami und Schinken hätte ich gar nicht erst danach gesucht.

Letztendlich verlässt man sich damit als Hersteller aber darauf, dass einem andere die Arbeit abnehmen. Würde jeder seine Produkte nur noch in nichtssagende, blickdichte Einheitspackungen mit Markenlogo stecken, wäre jeder Einkauf wie eine Ostereiersuche.

Sie verlassen sich auf Konventionen

Ein weiterer Grund, warum wir Produkte finden, obwohl sie eigentlich ein Geheimnis aus ihrem Inhalt machen, sind Verpackungskonventionen – also Quasi-Standards, wie Verpackungen für bestimmte Produkte aussehen. Ein wesentlicher Anhaltspunkt ist etwa die Farbe.

Hygieneartikel sind besonders oft in den Farben Weiß und Blau verpackt, weil das für Reinheit und Frische steht. Auch meine Zahncreme von blend-a-med verrät mir nur im Kleingedruckten, was sie eigentlich ist, gibt mir durch ihre Farben aber einen guten Anhaltspunkt. Wäre die Tube schwarz, würde ich sie eher für Schuhcreme halten.

Aber auch die Form solcher Tuben unterscheidet sich in der Regel. So sind Zahnpasta-Tuben oft länglich und haben einen Schraubverschluss, der so weit ist wie die Tube selbst. Schuhcreme-Tuben sind eher kurz und Lebensmitteltuben haben eher einen kleinen Verschluss.

Drei Tuben: blend-a-med Zahncreme (vorwiegend weiß-blau), Tomatenmark (vorwiegend rot-blau), UHU Alleskleber (vorwiegend gelb-schwarz).
Weiß-blaue Frische, rote Tomaten und giftiges Premium-Gelb.

Aber wie gesagt, sind das großteils keine fixen Regeln, sondern nur Tendenzen. Es ist daher die Masse, welche die Einordnung erleichtert. Wenn ich in der Lebensmittelabteilung vor einem Regal mit Tuben stehe, von denen die Hälfte in Gelb daherkommt, habe ich guten Grund zur Annahme, dass das keine Zahnpasta, kein Alleskleber und wahrscheinlich auch kein Tomatenmark ist.

Die Krux mit den Konventionen

Ein Problem mit Konventionen ist, dass sie nur funktionieren, wenn man sie auch kennt. Solange die Verpackungsfarbe die Farbe des Inhalts widerspiegelt, ist das zwar noch einigermaßen intuitiv, aber Farbe sagt für sich allein noch nicht viel aus. Eine schwarze Tube könnte auch Ölfarbe, Dichtmasse, Haarfärbemittel oder Zuckerglasur zur Verzierung von Torten enthalten. Wenn dann nicht klar und deutlich auf der Packung steht, was sie enthält, kann es schwierig werden.

Ausschnitt aus altem Werbeposter: gelbe Tube mit kleinem Verschluss und der Aufschrift »Doramad – Radioaktive Zahncreme«, dazu der Slogan: »erzeugt im Munde natürliche Frische!«
In mehrfacher Hinsicht etwas abseits der heutigen Konventionen, dafür aber mit dem unübersehbaren Wort »Zahncreme« auf der Packung. (Original: Suit, CC BY-SA 4.0, Bild beschnitten)

Im Alltag merkt man so etwas wahrscheinlich nur selten, weil man mit den Konventionen in seinem Umfeld vertraut ist. Spannend wird es dann, wenn man das Umfeld wechselt, indem man etwa fremde Länder bereist oder sich nur einmal in einem größeren Supermarkt nach internationalen Produkten umsieht. Ist das, was man da vor sich hat, etwas Deftiges oder etwas Süßes? Kann man es auspacken und sofort essen oder muss man es erst zubereiten? Ist es überhaupt für den menschlichen Verzehr gedacht oder denke ich gerade darüber nach, mir Katzenfutter einzuverleiben?

Kommentare

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Sabine, 2022-06-20 16:52:

Ich denke, mein Wocheneinkauf wird von nun an kritischer sein!

Bisherige Kommentare

  • Sabine

    Ich denke, mein Wocheneinkauf wird von nun an kritischer sein!

  • Tony T

    Haha, kenn ich. :D Ich hab vor einem halben Jahr beschlossen, nur mehr Shampoo zu kaufen, auf dem "Shampoo" draufsteht (Weil ich mir unter "Pflegedusche" etc. nix vorstellen kann). Das ist leider fast unmöglich^^