Kein Anschluss unter dieser Hausnummer

Dass Häuser mit einer eigenen Nummer angeschrieben werden, ist für die meisten Menschen selbstverständlich. Bei manchen Details scheiden sich aber die Geister.

Hausnummernschild »127a Heiligenstädterstr.«
Eine Hausnummer in ihrem natürlichen Lebensraum.

Falls es so etwas wie eine Hölle gibt, warten dort schon all jene Leute auf mich, die mich Zeit meines Lebens nach dem Weg gefragt haben … und deswegen niemals irgendwo angekommen sind. Es ist zwar nicht so, als hätte ich diese Leute mit Absicht ins Nirvana geführt, aber wenn mich jemand erwartungsvoll nach etwas fragt, was ich eigentlich wissen müsste, gestehe ich mir selbst nur ungern ein, dass ich einen Orientierungssinn wie ein Ziegelstein habe. Umso mehr freute es mich, dass ich zwei Passanten, die offenbar neu in Österreich waren, mit einer ganz allgemeinen Information weiterhelfen konnte.

Sie waren auf der Suche nach einer bestimmten Hausnummer und standen etwas verunsichert vor einem Schild, das die Nummer 19 zeigte. Allerdings war das kein Hausschild, sondern ein Straßenschild. Wie in Wien üblich, stand die Zahl darauf nicht für eine Hausnummer, sondern für den Bezirk.

Straßenschild »19.,Springsiedelgasse«
Das ist nicht die Springsiedelgasse 19, sondern die Springsiedelgasse im 19. Bezirk. (Nebenbemerkung: Der Typographie-Albtraum, dass nach dem Beistrich kein Leerzeichen folgt, ist Standard bei diesen Schildern.)

Mit stolzgeschwellter Brust klärte ich dieses Missverständnis auf … und mit einem auf dem Kopf stehenden Stadtplan schickte ich die beiden Verdammten anschließend in die falsche Richtung. Dieses Ereignis motivierte mich zwar nicht direkt dazu, etwas gegen meine Orientierungslegasthenie zu unternehmen, aber es motivierte mich zumindest dazu, mir ein paar Gedanken über Hausnummern zu machen und diesen Artikel zu schreiben.

Heiße Nummer von vorne oder von hinten?

Als gebürtiger Wiener hatte ich zuvor nie darüber nachgedacht, aber dass unsere Straßenschilder solche Verwirrungen stiften können, ist eigentlich naheliegend. Schließlich werden im englischen Sprachraum die Hausnummern vor die Straßennamen geschrieben statt dahinter – also in der Form »742 Evergreen Terrace«.

Zugegeben habe ich nie verstanden, warum Bezirken bei uns in Wien so viel Bedeutung beigemessen wird. Politisch mögen die ja relevant sein, aber zur Orientierung habe ich sie noch nie gebraucht. Dass ich in einer identisch benannten Straße in einem falschen Bezirk lande, ist selbst mir noch nie passiert.

Wie man über Google StreeView leicht nachvollziehen kann, kommen auch andere Städte, etwa Berlin, ohne Bezirksangabe in den Straßenschildern aus. Graz schreibt die Bezirke zumindest mit römischen Ziffern zuzüglich Bezirksname an – das verringert zwar die Verwechslungsgefahr, braucht dafür aber mehr Platz.

Straßenschild in Fraktur. Zeile 1: »XIX. Döbling.« Zeilen 2 und 3: »Traminer-Gasse«
An einigen alten Gebäuden in Wien sind auch klassische Straßenschilder angebracht, bei denen der Bezirk, ähnlich wie in Graz, deutlicher vom Straßennamen getrennt ist. Vielleicht hilft das Besuchern aus anderen Ländern ein wenig … sofern sie Fraktur lesen können.

Ob die Hausnummer vor oder hinter dem Straßennamen besser aufgehoben ist, lässt sich für mich persönlich leicht beantworten. Die Nummer gehört aus mindestens drei Gründen nach hinten:

  • Generell interessiere ich mich als Empfänger von Informationen zuerst für Grundlegendes und erst danach für Details – und da wir in unserer Kultur von links nach rechts lesen, sollte das Grundlegende links stehen. Was nutzt mir eine Hausnummer, wenn ich die Straße noch gar nicht kenne? In einem Schuhladen interessiere ich mich ja auch nicht für die Schuhgröße, wenn ich noch nicht einmal weiß, ob es sich um schwarze Business-Schuhe oder rosa Stöckelschuhe handelt.
  • Vom Großen zum Kleinen zu gehen hat außerdem den Vorteil, dass Daten eine sinnvolle Reihenfolge einnehmen, wenn sie nach dem Namen sortiert werden. Wenn auf »7 Holzhackergasse« die Adresse »7 Holzweg« folgt, ist diese Sortierung ziemlich nutzlos … sofern man sich nicht gerade aus abergläubischen Gründen dafür interessiert, wie viele Adressen die Hausnummer 7 haben. Mit der Hausnummer hinter der Adresse stehen stattdessen alle Datensätze aus der selben Straße beisammen. Damit kann man im Alltag wesentlich mehr anfangen.

    (Das ist übrigens auch der Hauptgrund, warum ich Datumsangaben entgegen allen deutschsprachigen Gepflogenheiten im Format »2021-04-16 15:00« anschreibe.)

  • Zumindest die USA haben keine konsequente Ordnung in der Adresszeile, denn noch kleinere Details wie die Türnummer stehen dann doch hinter der Adresse statt davor. Die Adresse »Holzweg 7/3« würde man etwa als »7 Holzweg 3« anschreiben. Da muss man gedanklich kreuz und quer durch die Zeile springen, um zu entschlüsseln, wo man hin soll.

Logisches Denken hätte den beiden Passanten aus meinem eingangs erwähnten Beispiel übrigens auch nicht viel geholfen. Normalerweise könnte man ja sagen: Wären sie einfach ein oder zwei Häuser weiter gegangen und dort wäre immer noch die gleiche Nummer angeschrieben gewesen, hätten sie den Braten vielleicht gerochen. Allerdings sind wir uns ausgerechnet vor dem Karl-Marx-Hof über den Weg gelaufen – das ist mit mehr als einem Kilometer der längste zusammenhängende Wohnbau der Welt. Es wäre nicht so unglaubwürdig, wenn da nach 600 Metern immer noch die gleiche Hausnummer angeschrieben ist.

Was ist eigentlich eine Hausnummer?

Wenn man es nun irgendwie geschafft hat, die Hausnummer überhaupt einmal in einer Adressangabe zu finden, stellt sich als nächstes die Frage: Was gibt diese Nummer eigentlich konkret an?

Menschen mit ausgeprägter Kombinationsgabe könnten jetzt feststellen: Die Hausnummer gibt die Nummer eines Hauses an. Aber ganz so einfach ist es in der Realität dann doch nicht. Der oben erwähnte Karl-Marx-Hof ist praktisch ein einziges Haus, hat aber mehrere Hausnummern.

Luftaufnahme eines Gebäudes, das sich über einen Kilometer erstreckt. Es hat große, grüne Innenhöfe. Die Umgebung ist ausgegraut.
Ein Gebäude, viele Hausnummern: der Karl-Marx-Hof in Wien. (Original-Bildquelle: Kasa Fue, CC BY-SA 4.0, Bild nachbearbeitet)

Diese Nummern folgen auch keinem einfach nachvollziehbaren Schema. In der Boschstraße hat erst ein gutes Drittel des Hofes die Hausnummer 1, danach folgenden auf einem kurzen Stück 5, 7, 9, 11 und 13, danach folgt ein Abschnitt mit der Hausnummer 15-17 und das letzte Stück hat schließlich die Nummer 19.

Genauso gibt es aber auch das Gegenteil. Ich selbst lebe in einer Wohnhausanlage mit baulich voneinander getrennten Gebäuden, aber die gesamte Anlage hat eine einzige Hausnummer. Genauso können auch Grundstücke eine Hausnummer haben, obwohl gar kein Haus darauf steht.

Zusammenfassend kann man also nur sagen, dass eine Hausnummer eine recht vage Organisationseinheit darstellt. Sie kann ein einzelnes Haus bezeichnen, das muss aber nicht zwingend der Fall sein.

Immer der Straße nach

Im deutschsprachigen Raum werden Hausnummern nach einer recht klaren Ordnung vergeben. Die Häuser werden der Straße entlang durchnummeriert. Meistens sind links die ungeraden Zahlen, rechts die geraden.

Klingt einfach, ist es aber nicht immer, weil wir auf keinem Schachbrett leben. Häuser sind nicht überall wie Perlenketten links und rechts der Straße aufgefädelt und die Straßen selbst gehen mitunter auch einmal nahtlos in Plätze oder andere Strukturen über, wo dann eventuell auch andere Nummerierungsregeln gelten.

Außerdem ist das ein ziemlich unflexibles Schema. Wenn irgendwo in der Mitte der Straße ein Haus oder Grundstück mit der Nummer 42 geteilt wird, müssen die neuen Einheiten »42A« und »42B« – oder ähnlich – genannt werden. Andernfalls müsste man die Hausnummern der halben Straße umschreiben. Wenn 42A dann noch weiter unterteilt wird, fängt es an, richtig unterhaltsam zu werden.

In Ländern wie den USA, Kanada und Australien ist es dagegen laut Wikipedia auch üblich, Hausnummern auf Basis der Entfernung zum nächstgelegenen Stadtzentrum zu vergeben. In Nordamerika wird dabei oft an jeder Querstraße wieder bei null zu zählen begonnen. Die Hausnummer 42 steht dann also nicht für das 42. Haus in der Straße, sondern für das Haus, vor dem man steht, wenn man die Straße 42 Meter (oder Fuß) entlang geht. Das ist nicht nur flexibler in Hinsicht auf Grundstücksteilungen, sondern gibt auch viel direkter an, wie weit man noch gehen (oder fahren) muss, um an sein Ziel zu kommen.

Hausnummern ohne Straßennamen

Ähnlich und doch ganz anders als in den USA ist es in Japan. Auch hier sind Abstände entscheidend für die Hausnummer, allerdings ist das übergeordnete Adressierungsschema komplett anders als bei uns im Westen. In Japan haben die meisten Straßen gar keine Namen – stattdessen werden die Gebäudeblöcke zwischen den Straßen benannt. Diese Blöcke werden dann im Uhrzeigersinn nach fixen Abständen in Segmente unterteilt und die Hausnummer richtet sich danach, in welchem Segment der Eingang eines Hauses liegt.

Die japanische Blockdenkweise stelle ich mir zugegeben etwas umständlich vor, um einen Weg zu beschreiben. »Folgen Sie Straße X« ist deutlich direkter als »folgen Sie dem Weg zwischen Block X und Block Y«, aber vielleicht täusche ich mich da und dieses System bringt auch eine ganz andere Denkweise bei Richtungsangaben mit sich.

Einen Vorteil hat das Blockschema aber sicher in Hinsicht auf Eindeutigkeit. Wie ich weiter oben geschrieben habe, wohne ich in einer Anlage mit einer einzigen Hausnummer. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Weil diese Anlage insgesamt an vier Straßen und Gassen angrenzt, hat sie auch vier verschiedene Hausnummern, die wie komplett unterschiedliche Adressen aussehen – aber alle bezeichnen denselben Ort. Beschreibt man Adressen stattdessen mit Häuserblöcken, kann das nicht passieren.

Über die Adressierung in Japan hatte ich in den letzten Jahren schon in einem Vortrag gehört, bei dem jemand veranschaulichen wollte, wie unterschiedlich Denkweisen sein können. Allerdings meinte dieser Jemand auch, dass die Gebäude in Japan nach ihrem Alter nummeriert werden.

Das wird zwar grundsätzlich auch auf Wikipedia erwähnt, allerdings steht dort, dass das neuere System mit Einteilung im Uhrzeigersinn schon 1962 in einem Gesetz festgeschrieben wurde. Inwieweit das alte System heute noch von Bedeutung ist, konnte ich auf die Schnelle nicht herausfinden. Jedenfalls sollte klar sein, dass so eine Nummerierung die unpraktischste von allen ist, weil sie bei der Orientierung überhaupt nicht hilft.

Aber um kulturelle Unterschiede aufzuzeigen, ist das Nummerieren nach Alter nicht das beste Beispiel. Wie ich nämlich herausgefunden habe, waren es ausgerechnet die Habsburger, die genau das schon lange vor den Japanern eingeführt hatten. Wenn es um sperrige Verwaltungsungetüme geht, waren wir Österreicher eben schon immer Vorreiter.

Schild mit Beschriftung »Konskr. Nr. 1350 Innere Stadt«.
Die sogenannte Konskriptionsnummer war ein Vorläufer der Hausnummer, eingeführt von den Habsburgern. Zum Glück wurde sie bald darauf durch etwas ersetzt, das besser zur Orientierung taugt. (Original-Bildquelle: Clemens Mosch, CC BY-SA 4.0, Bild nachbearbeitet)

Die richtige Richtung

Entgegen meiner schlechten Vorsätze habe ich beim Schreiben dieses Artikels letztendlich doch etwas gelernt, das ein bisschen gegen meine alltägliche Orientierungslegasthenie helfen könnte. Wir Österreicher hatten nämlich nicht nur die unpraktischen Konskriptionsnummern eingeführt, sondern später auch das »Winklersche System der Hausnummern«.

Darin ist etwas definiert, was mir vollkommen neu war: nämlich, dass die Richtung, in die Wiener Hausnummern verlaufen, genau vorgegeben ist. Je nach Verlauf der Straße führen die Nummern in aufsteigender Reihenfolge von der Stadtmitte weg oder im Uhrzeigersinn um die Stadt herum. Dieses Wissen hätte mir schon genügt, um die beiden fremden Landsleute vor dem Karl-Marx-Hof nicht in die falsche Richtung zu schicken.

Kommentare

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Michael Treml, 2021-09-12 21:51:

Danke, das ist eine spannende Ergänzung, durch die ich wieder etwas gelernt habe. Mir war bisher nicht bewusst, warum manche Straßennamen getrennt geschrieben werden und andere nicht, aber bei dieser Inkonsistenz ist es ja kein Wunder, dass ich darin noch kein System erkennen konnte.

Ich hätte ja erwartet, dass die Schreibweise zumindest innerhalb einer Straße konsequent ist, aber erst jetzt mit diesem Wissen habe ich gesehen, dass die Heiligenstädter Straße tatsächlich von einem Haus zum nächsten anders angeschrieben ist. Ein SCHILDbürgerstreich der etwas anderen Sorte …

Bisherige Kommentare

  • Muvimaker

    "Nebenbemerkung: Der Typographie-Albtraum, dass nach dem Beistrich kein Leerzeichen folgt, ist Standard bei diesen Schildern."
    Eine Unsitte in Wien und vielleicht meckern auf höchstem Niveau. Dazu möchte ich anmerken, dass bis vor einigen Jahren in Wien die Schreibung der Straßennamen ganz gut funktioniert hat. Leider beginnt auch hier bereits der berühmte Schlendrian einzureißen. Man liest "Kärntnerstraße", "Gumpendorferstraße" und ähnliche Schöpfungen, dazu zählt auch Ihr Beispiel am Artikelanfang - die "Heiligenstädterstraße". All diese Straßennamen müssen getrennt geschrieben werden, da sie von Ortsbezeichnungen abgeleitet werden. Also wird als Letzterer die "Heiligenstädter Straße" und die anderen sollten nach dem gleichen Schema geschrieben werden. In den Bundesländern ist es noch ärger. Dort wird in jeder größeren Stadt fast jede dieser abgeleiteten Straßenbezeichnungen falsch geschrieben. Weist man die zuständige Behörde darauf hin, so erntet man neben einem müden Lächeln meistens nur die Antwort: "Das ist doch völlig egal, die Leute wissen das sowieso nicht". Meistens wissen es die Auskunftgeber allerdings auch nicht.
    Erinnert mich - um bei den Schildern zu bleiben - an das Hundeverbotsschild an vielen Geschäften: "Wir müssen draussen bleiben". Ich würde keinen Cent für solch ein Schild bezahlen...

    • Michael Treml (Seitenbetreiber)

      Antwort an Muvimaker:

      Danke, das ist eine spannende Ergänzung, durch die ich wieder etwas gelernt habe. Mir war bisher nicht bewusst, warum manche Straßennamen getrennt geschrieben werden und andere nicht, aber bei dieser Inkonsistenz ist es ja kein Wunder, dass ich darin noch kein System erkennen konnte.

      Ich hätte ja erwartet, dass die Schreibweise zumindest innerhalb einer Straße konsequent ist, aber erst jetzt mit diesem Wissen habe ich gesehen, dass die Heiligenstädter Straße tatsächlich von einem Haus zum nächsten anders angeschrieben ist. Ein SCHILDbürgerstreich der etwas anderen Sorte …

  • Tony T

    Tolles Thema, wieder was gelernt!
    In Russland bin ich beim Adressensuchen mehrmals halb erfroren im Winter, weil riesige Plattenbautensiedlungen offenbar nach dem Zufallsprinzip nummeriert wurden oder weil einfach ein ganzer Ort nur einen Straßennamen hatte ...
    In Costa Rica gibt es keine Hausnummern sondern Wegbeschreibungen mit Meterangaben. In der Zeitung war einmal die Adresse eines Präsidentschaftskandidaten angegeben, die las sich ungefähr so: Von der Kreuzung der Avenidas X und Y zweihundert Metern nach Süden, achtzig Meter nach Osten, links das Haus mit den weißen Fensterläden. Ein ausgewanderter Bekannter gab daraufhin seine Adresse so an: 50 Meter unterhalb von der X (dorfbekannte Person) das Haus hinterm Busch, das man nicht sieht ;)

    • Michael Treml (Seitenbetreiber)

      Antwort an Tony T:

      Vielen Dank für diesen Erfahrungsbericht! Nachdem ich selbst nur selten aus Österreich hinaus komme, ist es bei einem Thema wie diesem besonders spannend, zu lesen, was reiselustige Leute wie Du in der Praxis schon gesehen haben. :-)

      Die Costa-Rica-Wegbeschreibungen müssten wohl in etwa dem entsprechen, was vor der Einführung von Hausnummern üblich war. Nachdem mein Einschätzungsvermögen für Längeneinheiten ähnlich ausgeprägt ist wie mein genereller Orientierungssinn, wäre ich in solchen Zeiten wahrscheinlich unfreiwillig zum Wanderprediger geworden. ;-)